Welche Smartphones sind für blinde, sehbehinderte und altersweitsichtige Menschen geeignet?

Stand: Aktualisiert am 30. Dezember 2016

Smartphones, also Handys mit Touchscreens, setzen sich zunehmend durch. Immer weniger Handys haben überhaupt noch physische Tasten. Dominant sind die Smartphone-Betriebssysteme Android (Google) und iOS (Apple), Welches Gerät und welches Betriebssystem ist am besten geeignet? Dieser Leitfaden soll bei der Auswahl helfen.

Über die letzten Jahre haben andere Betriebssysteme, etwa Microsofts mobile Betriebssysteme Windows mobile bzw. Windows 10 Mobile weiter Marktanteile und damit an Bedeutung verloren. Nur wenige Geräte mit Windows Mobile 8.1 oder Windows 10 Mobile sind noch im Handel erhältlich. Blackberry hat die Weiterentwicklung seines Betreibssystems BB OS 10 eingestellt und hat sich nach schwachen Verkaufszahlen der zuletzt auch Android-basierten Mobiltelefone inzwischen auch als Gerätehersteller vom Markt verabschiedet.

Spezielle Smartphones für blinde und sehbehinderte Nutzer

Neben den Standard-Smartphones auf der Basis von Android und iOS gibt es ein wachsendes Angebot an speziellen Smartphones vorrangig für blinde und sehbehinderte Menschen, z.B. das Claria Vox, das Blindshell, das Kapsys Smartvision oder die Corvus-Oberfläche, die auf Android-Geräten läuft. Diese Geräte kommen als Alternative besonders für Menschen in Frage, die nur bestimmte Kernfunktionen ihres Mobiltelefons (Telefonie, Kontakte, Kurznachrichten, E-Mail, Kalender) und bestimmte mitgelieferte Hilfsmittelfunktionen (etwa Farb- oder Lichterkennung, Geldscheinerkennung oder Sprachnotizen) nutzen wollten und für die die die Nutzung von Webangeboten oder nativen Apps von unterwegs weniger wichtig ist.

Startbildschirme von 4 großen Smartphones

Abbildung 1: Startbildschirme von vier großen Smartphones, auch Phablets genannt. Von links nach rechts: ASUS ZenFone 6, Samsung Galaxy Note 3, Apple iPhone 6 plus, Windows Lumia 1320 (Vergleiche auch unseren Prüfbericht Phablets für sehbehinderte und altersweitsichtige Menschen).

Wichtige Kriterien

Nutzer sollten sich über wichtige eigene Auswahlkriterien Gedanken machen:

  • Brauche ich nur Standardfunktionen (Telefonieren, Browser, Kurznachrichten, E-Mail, Kalender) oder sind für mich spezielle Apps wichtig, etwa zur Texterkennung oder zur Navigation?
  • Nutze ich das Gerät eher passiv (Internet-Informationen oder E-Books lesen) oder muss ich häufiger über die virtuelle Tastatur (oder auch eine externe Bluetooth-Tastatur) Eingaben machen?
  • Komme ich mit den Standard-Ansichten (auch mit größer eingestellter Schrift) klar oder ist für mich eine Zoomfunktion unabdingbar?
  • Brauche ich eine Kontrastansicht?
  • Brauche ich einen Screenreader (auch zusätzlich zum Zoom)? Falls nicht: Benötige ich ihn vielleicht bald, wenn mein Sehen sich verschlechtert?
  • Möchte ich statt auf der virtuellen Tastatur zu tippen, lieber mit der Spracheingabe arbeiten?

Wenn Nutzer spezielle Apps brauchen, sind erfahrungsgemäß Apples iOS-Apps zugänglicher als die Android-Varianten. Hier sollten Nutzer gezielt recherchieren – besonders, wenn sie den Screenreader einsetzen.

Wenn es um die Auswahl des Betriebssystems geht, ist es wichtig zu wissen, dass Android nicht gleich Android ist: während Googles Nexus- bzw. Pixel-Smartphones das unverfälschte Android-System (bei den neuesten Modellen in der Version 7, genannt Nougat) nutzen, verwenden andere Hersteller wie Samsung, LG, Huawei, ASUS, Sony oder HTC eigene Oberflächen (sogenannte „Skins“) für Android, die häufig auf älteren Android-Versionen basieren und für Screenreader-Nutzer zum Teil deutlich schlechter nutzbar sind. Einige Hersteller wie Motorola nutzen jedoch ein fast unverändertes Android.

iPhone, Android Nexus 4, Lumia 1329

Abbildung 2: Smartphones im Größenvergleich: Links das iPhone 5c, in der Mitte ein Android-Smartphone (Google Nexus 4), rechts das sechs Zoll große Lumia 1320. Zu sehen ist jeweils der Startbildschirm.

Es gibt aber auch Android-Skins, die für sehbehinderte Nutzer mehr bieten als Googles Android-Version, z.B. Samsungs TouchWiz. Hier gibt es eine bessere systemseitige Textvergrößerung und auch eine Ansicht in Farbumkehr.

Ergebnisse im Überblick

Im Folgenden geben wir Kurzhinweise zu Smartphones und Betriebssystemen für drei verschiedene Nutzergruppen.

(Alters-)weitsichtige Nutzer

Wer altersweitsichtig oder nur leicht sehbehindert ist, ist mit den großen und kontrastreichen Schriften bei Samsung Smartphones mit der Oberfläche TouchWiz gut bedient. Auch andere Android-Skins wie ASUS' ZenUI bieten überdurchschnittliche Standardschriftgrößen und zum Teil einen "einfachen Modus" für den Startbildschirm und die Systemeinstellungen.

Wer hauptsächlich telefoniert, keine Sprachausgabe braucht und kaum mehr als die Standard-Apps (Kalender, E-Mail, Karten, usw.) nutzt, sollte auch Geräte mit Windows Phone bzw. Windows 10 Mobile in Betracht ziehen. Hier gibt es einem echten Kontrastmodus, bei dem sich Vorder- und Hintergrundfarbe individuell wählen lassen. Der schwindende Marktanteil und die unsichere Zukunft der mobilen Sparte von Microsoft sollten aber vor dem Kauf bedacht werden. Es gibt zwar seit längerem Gerüchte über ein 'Surface Phone', auf dem auch normale Windows Desktop-Anwendungen laufen würden. Ob dieses Gerät aber Ende 2017 überhaupt herauskommt und ob es sich auf dem Markt behaupten wird, ist unsicher.

Eine interessante Funktion gibt es zurzeit nur beim iPhone: Bildschirm vorlesen. Das ist nicht das Gleiche wie der Screenreader mit seinem eigenen Nutzungs-Modus. Mehr dazu im Leitfaden-Abschnitt Smartphones für altersweitsichtige Menschen.

Zoomvergrößerungs-Nutzer

Menschen, die die Standardschrift auf Smartphones nicht lesen können, sollten bei der Anschaffung zu Geräten mit größerem Bildschirm greifen. Bei größer gestellter Schrift passt mehr Text in die Textspalte, im gezoomten Zustand bleibt mehr Kontext sichtbar. Geräte der Phablet-Kategorie (mit Bildschirmdiagonalen von 5 bis 7 Zoll) gibt es inzwischen nicht mehr nur unter Android, sondern auch bei Apple mit dem iPhone 6 plus bzw. 7 plus.

Sowohl Apples iOS als auch Android bieten eine brauchbare Zoomvergrößerung. Wichtig: Nur beim iPhone lässt sich einstellen, ob die virtuelle Tastatur mitvergrößert werden soll oder nicht. Und nur Android bietet den schnellen Spot-Zoom. Mehr dazu im Leitfaden-Abschnitt Smartphones für sehbehinderte Menschen.

Screenreader-Nutzer

Wer blind oder stark sehbehindert ist und deshalb einen guten Screenreader braucht, sollte ein Gerät mit Apples iOS wählen. Der eingebaute Screenreader VoiceOver ist ausgereifter und in der Bedienung einfacher als Angebote der Android-Konkurrenz. Noch nicht überprüft haben wir, ob der Windows-Screenreader Narrator bei den wenigen am Markt verfügbaren Geräten, die unter Windows 10 Mobile laufen, gut brauchbar ist - etwa auch für die mobile Web-Nutzung. Mehr dazu im Leitfaden-Abschnitt Smartphones für blinde Menschen.

Nutzer haptischer Tastaturen

Wer eine haptische – also ertastbare – Tastatur möchte, kann ein Blackberry-Smartphone wie das Android-basierte Blackberry Priv in Betracht ziehen. Die Brauchbarkeit des Screenreader TalkBack auf diesem Gerät, gerade im Verbund mit der haptischen Tastatur, haben wir bislang leider nicht prüfen können. Ein Hinweis: Blackberry hat sich als Gerätehersteller vom Markt zurückgezogen. Es sind also keine Nachfolgemodelle des Priv zu erwarten.

Alternativ gibt es zwei Smartphone-Lösungen mit haptischen Tastaturen, die wir näher getestet haben: Das Claria Vox und das Kapsys SmartVision.

Ansonsten lassen sich Smartphones (mit Ausnahme von Windows Phone) auch über Bluetooth mit externen Tastaturen verbinden (mehr über Smartphones mit eingebauter und externer Tastatur im Leitfaden-Abschnitt Smartphones mit Tastatur).

Am besten selbst ausprobieren!

Die beste Prüfung der Eignung eines Geräts ist das Selbst-Ausprobieren. Vor einem Kauf sollten Interessierte deshalb, wenn möglich, die Geräte im Fachhandel ansehen und die verschiedenen Einstellungsmöglichkeiten gründlich ausprobieren.

In den folgenden Abschnitten dieses Leitfadens gehen wir auf die Auswahlkriterien für blinde, sehbehinderte und altersweitsichtige Menschen ein und beleuchten am Ende den Aspekt der Spracheingabe, der für alle diese Gruppen wichtig sein kann.