Vom Auspacken bis zum System-Update: Windows 10 für sehbehinderte Nutzer

9. November 2015

Autor: Sven-Henrik Klüß

Mit der Einführung von Windows 10 wird es viele Benutzer geben, die nun auch neue Hardware kaufen wollen. In diesem Erfahrungsbericht zeige ich, inwieweit hochgradig sehbehinderte Menschen einen neuen Computer selbst anschließen und in Betrieb nehmen können – vom Auspacken und Anschließen des Rechners bis zur Nutzung der Bildschirmlupe unter Windows 10.

Bei dem Gerät handelt es sich um einen Dell-Rechner vom Typ Optiplex 3020 mit Intel Core i5-4590, 3,30 GHz und 8 GB Arbeitsspeicher. An den Computer angeschlossen sind:

  • Eine Tastatur mit großen Zeichen
  • Maus Dell Standard
  • Monitor 19“ VGA

Mein Ausgangspunkt in diesen Bericht: Ich bin selbst hochgradig sehbehindert und versuche soweit wie möglich mit den Bordmitteln, die in Windows integriert sind, zurechtzukommen. Ich nutze dabei vorwiegend die Lupe von Windows. Der Erfahrungsbericht soll zeigen,

  • wo sehbehinderte Nutzer ggf. auf Schwierigkeiten stoßen,
  • an welchen Stellen ggf. die Hilfe einer sehenden Person nötig ist,
  • welche Probleme bei der Installation von Windows 10 auftauchen.

Die Ergebnisse im Überblick

Mein Erfahrungsbericht deckt alle Schritte ab, die von der Anlieferung des verpackten Rechners bis zum Einsatz des Geräts durch sehbehinderte Nutzer notwendig sind: Vom Anschließen von Tastatur und Bildschirm über das Aktualisieren des vorinstallierten Systems - in diesem Falle Windows 7 - auf Windows 10 bis hin zur Nutzung der Bildschirm-Lupe bzw. der Spracheingabe.

Der Test hat gezeigt, dass es einem hochgradig sehbehinderten Menschen weitgehend möglich ist, einen neuen Computer selbstständig anzuschließen und in Betrieb zu nehmen. Auch ist es möglich, das Update auf Windows 10 selbstständig durchzuführen. An verschiedenen Stellen sind jedoch mechanische Hilfsmittel wie eine starke Lupe oder ein Bildschirmlesegerät bzw. eine Lupen-App nötig. An einigen Stellen war außerdem die Hilfe einer sehenden Person notwendig.

Verbesserungsbedarf aufseiten Microsofts

Im Prozess der Inbetriebnahme des neuen Rechners sind mir einige Punkte aufgefallen, die von Microsoft noch zu verbessern wären:

  • Im Einrichtungsassistenten fehlt die Möglichkeit, zu Beginn die Schrift zu vergrößern, damit die Einrichtung auch ohne die Hilfe sehender Personen durchgeführt werden kann.
  • Leider ist der vergrößerte Text bei Verwendung der integrierten Lupe immer noch sehr pixelig und es treten störende Schatten auf.
  • Die Einstellungsmöglichkeiten der Cursor-Farbe und der Art der Fokus-Hervorhebung sind bei der Lupe noch recht begrenzt.
  • Die Steuerung aller visuellen Effekte gehört in das "Center für erleichterte Bedienung". Bisher sind sie über mehrere Stellen im System verstreut und man muss sie lange suchen.
  • Der Abstand zwischen den Menü-Einträgen und dem zugehörigen Auswahlelement im Startmenü ist zu groß. Bei einem Vergrößerungsfaktor ab 400 % verliert man daher leicht die Übersicht. Ferner ist der Kontrast zwischen dem hervorgehobenen Text und dem normalen Text zu gering.

Vorteile des Umstiegs auf Windows 10

Aus meiner Sicht lohnt sich der Umstieg von Windows 7 auf das neue Windows 10, weil man damit ein Betriebssystem mit vielen nützlichen Funktionen erhält. Es läuft sehr stabil und lässt sich intuitiv bedienen. Für sehbehinderte Nutzer gibt es einige Verbesserungen, die die Bedienung von Windows erleichtern. Unter anderem wären da die um den Übersichtsmodus erweiterte Lupe und die Spracheingabe über Cortana zu nennen. Mit Cortana lässt sich nach Apps auf dem Computer suchen. Die Apps können auch mit Cortana gestartet werden. Ferner kann man nach Informationen im Web suchen.

Reicht die Windows-Lupe aus oder empfiehlt sich doch eine Vergrößerungs-Software?

Die Benutzerkonten-Steuerung wird nun auch von der integrierten Windows-Lupe unterstützt. Die Lupe ist aber immer noch eine Notlösung, verglichen mit den Möglichkeiten und Funktionen einer Vergrößerungs-Software wie ZoomText, Lunar oder Supernova. Wer also lange am Computer arbeitet, sollte unbedingt in eine Vergrößerungs-Software investieren, zumal die Kosten hierfür in der Regel von den Krankenkassen bzw. Integrationsämtern übernommen werden.

Die Schritte im Detail

1. Rechner auspacken

Der Computer kommt in einem Karton, in dem Folgendes zu finden ist:

  1. Der Computer Optiplex 3020
  2. Eine Dell Standard-Tastatur
  3. Eine Maus von Dell
  4. Ein Stromkabel
  5. Eine Recovery DVD mit Windows 8.1 Pro 64 Bit
  6. Quick Start Guide

Statt der Standard-Tastatur habe ich eine Großschrift-Tastatur angeschlossen.

2. Anschließen des Computers

Auf der Rückseite des Computers befinden sich zahlreiche Anschlüsse. Sie sind alle beschriftet, jedoch ist es für Menschen mit einer Sehbehinderung schwierig, die richtigen Anschlüsse zu finden. Ich konnte mithilfe einer Lupe mit 12-facher Vergrößerung die Anschlüsse am Computer zuordnen und erkennen. Das fällt Menschen wie mir, die Erfahrung im Umgang mit Hardware haben, natürlich leichter als manch anderen Nutzern, die mit den Anschlüssen nicht vertraut sind.

Auf der Rechnerseite ist es mir gelungen, alle Kabel in die entsprechenden Buchsen zu stecken. Jedoch habe ich die Hilfe einer sehenden Person benötigt, um mir das VGA-Kabel am Bildschirm anzuschließen. Der VGA-Anschluss am Bildschirm selbst ist schwer zugänglich. Der Computer ist nun fertig angeschlossen.

3. Der Windows Einrichtungs-Assistent

Nach dem Einschalten des Rechners erscheint der Einrichtungs-Assistent auf dem Bildschirm. Wichtiges Defizit: Zu diesem Zeitpunkt gibt es keine Möglichkeit, die Schrift zu vergrößern, damit der Einrichtungs-Assistent auch ohne die Hilfe sehender Personen durchgeführt werden könnte. Daher ist hier die Hilfe einer sehenden Person notwendig. Nun ist der Start-Assistent durchlaufen und der Desktop von Windows ist erschienen. Ab jetzt ist auch die Lupe von Windows 7 einsetzbar und ich kann ohne Hilfe einer sehenden Person arbeiten.

4. Update auf Windows 10

Anschließend geht es mit der Software weiter. Im Auslieferungszustand befindet sich Windows 7 Professional 64 Bit auf dem Rechner. Um mit Windows 10 arbeiten zu können, bedarf es zunächst eines Updates auf Windows 10.

Nun wird der Rechner mithilfe von Windows Update auf den aktuellen Stand gebracht. Nach der Durchführung der zahlreichen Updates sollte im Infobereich der Taskleiste ein Symbol zur Installation von Windows 10 erscheinen. Dies war aber bei meinem Testrechner nicht der Fall. Daher musste ich von der Microsoft-Website das Tool zum Herunterladen von Windows 10 laden. Dabei muss aber auf die richtige Version geachtet werden. Es gibt eine für 32 Bit und eine für 64 Bit. Ich habe die 64-Bit-Version heruntergeladen, da es sich bei dem Dell-Rechner um ein 64-Bit-Gerät handelt.

Ich starte nun das Programm Windows 10 Setup. Zuerst kann ausgewählt werden, ob ich das Update direkt ausführen möchte oder ob ein Installationsmedium erstellt werden soll. Ich habe mich hier für die erste Installationsmethode (direkte Ausführung) entschieden. Das Setup-Programm lädt zunächst die Setup-Dateien von Windows 10 herunter. Dieser Vorgang dauert ein paar Minuten. Anschließend wird der Lizenzvertrag angezeigt, der zu akzeptieren ist. Nun werden weitere Updates gesucht und heruntergeladen. Dieser Vorgang dauert viele Minuten. Während dieser Phase ist aber der Computer weiterhin nutzbar. Sobald alle erforderlichen Updates heruntergeladen sind, wird der eigentliche Installationsprozess durch Klicken auf "Installieren" gestartet. Dabei startet der Rechner einige Male neu und für das Aktualisieren auf Windows 10 durch. Bevor man auf "Installieren" klickt, sollten alle anderen Programme beendet werden und auch alle Dateien gespeichert sein, da es sonst zu einem Datenverlust kommt. Die Phase nimmt weitere Zeit in Anspruch, in der die Lupe von Windows nicht nutzbar ist.

Das Update wurde ohne Probleme durchgeführt und der Windows Desktop wird wieder angezeigt. Alle Einstellungen, die ich unter Windows 7 vorgenommen habe, wurden übernommen. Die Lupe von Windows wurde automatisch gestartet. Als nächstes wird der Computer vom Systemadministrator der vorhandenen Windows-Domäne hinzugefügt und es wird Microsoft Office 2010 installiert. Der Rechner ist nun Mitglied einer Windows-Domäne.

5. Vertraut machen mit der Oberfläche von Windows 10

Nach der Anmeldung erscheint gleich wieder der Desktop von Windows. Die Oberfläche wirkt recht aufgeräumt. Das Startmenü ist zweigeteilt, auf der linken Seite befinden sich die häufig verwendeten Anwendungen und Funktionen, hingegen gleicht die rechte Seite eher der Kacheldarstellung von Windows 8.1.

Ich finde, dass Microsoft hier einen guten Kompromiss gefunden hat. Die Taskleiste ist in drei Bereiche geteilt: Links befindet sich die Schaltfläche für das Startmenü und daneben ist das Suchfeld für den neuen persönlichen Assistenten "Cortana". Der mittlere Bereich ist, wie auch schon bei den früheren Windows-Versionen, für die Symbole reserviert, die man dort ablegen kann. Auf der rechten Seite ist der Infobereich. Dort befinden sich z. B. die Uhr und das Datum sowie weitere Symbole.

Eine wichtige Änderung betrifft die Systemsteuerung. Ab Windows 10 gibt es diese in der bisherigen Form nicht mehr. Alle Funktionen aus der Systemsteuerung befinden sich jetzt unter "Einstellungen". Man kann sie aber nach wie vor mittels Windows Explorer über das Eingabefeld "Schnellzugriff" aufrufen. Das ist eine deutliche Aufwertung, da die Einstellungen dort sehr gut strukturiert und übersichtlich angeordnet sind. Wer also bereits mit der Bedienung bei Windows Phone vertraut ist, der wird sich sofort auch auf dem neuen Windows 10 zurechtfinden. Ich habe mich sehr schnell an die neue Oberfläche gewöhnt und finde viele Einstellungen und Funktionen zum Teil deutlich schneller als vorher unter Windows 7.

6. Farben und Kontraste, Nutzung von Kontrast-Einstellungen

Im Vergleich zu Windows 7 ist das neue Windows 10 optisch "aufgewertet". Die einzelnen Fenster sind weniger stark voneinander abgesetzt. Das ist ein Nachteil für Benutzer, die schlecht sehen können. Mir fällt es oft schwer, die Ränder eines Fensters zu erkennen oder die Titelleiste zu finden (vergleiche Abb. 1).

Explorer-Fenst3r in Windows 10

Abb. 1: Das Explorer-Fenster in Windows 10, das sich über einem Word-Dokument öffnet. Das Fenster ist durch die fehlende Titelleiste nicht so deutlich vom Hintergrund abgesetzt wie bei Windows 7.

Windows bietet zwar nach wie vor die Möglichkeit, zwischen drei kontrastreichen Darstellungen zu wechseln. Aber wenn man ein kontrastreiches Design wählt, werden oft Grafiken und Bilder auf einer Webseite nicht angezeigt. Auch manche Bedienelemente auf Webseiten, die Hintergrundbilder nutzen, werden dann nicht korrekt dargestellt. Da sollte es meiner Meinung nach ein paar Nachbesserungen seitens Microsoft geben.

Das Problem des Verschwindens von Bedienelementen bei nutzergewählten Kontrast-Einstellungen zeigt auch deutlich die Wichtigkeit der Nutzbarkeit von Websites mit eigenen Farben, wie sie im BITV-Test gefordert wird - ein Punkt, der leider nicht klar vom internationalen Standard WCAG 2.0 abgedeckt ist.

7. Die Nutzung der integrierten Lupe von Windows

Die Lupe bei Windows 10 hat drei Modi, die im Wesentlichen den aus Windows 7 bekannten Modi entsprechen:

  • Vollbildmodus: In diesem Modus wird das gesamte Bild in der eingestellten Vergrößerung dargestellt.
  • Lupen-Modus: Hier wird eine Zeile auf dem Bildschirm vergrößert dargestellt, dadurch wird der Bildschirm geteilt. In der oberen Hälfte wird der Inhalt vergrößert dargestellt und in der unteren Hälfte ist der Inhalt des Bildschirms normal angezeigt.
  • Angedockt-Modus: Hierbei ist die Lupe an den Mauszeiger oder den Tastatur-Cursor gebunden. Wenn die Maus bewegt wird, folgt die Lupe dem Mauszeiger. Das Gleiche gilt für die Einfügemarke.

Mit Windows 10 hat Microsoft der integrierten Lupe eine neue Funktion spendiert. Die Funktion nennt sich "Vorschau im Vollbildmodus", hierbei wird für ca. 2 Sekunden eine normale Darstellung angezeigt, wobei die Position des vergrößerten Bereichs hell hervorgehoben ist. Anschließend kehrt die Ansicht automatisch wieder in die gewählte Vergrößerungsstufe zurück. Diese neue Funktion finde ich sehr praktisch, weil man damit schnell einen Überblick über den gesamten Bildschirm erhält.

Windows-Lupe: Vorschau im Vollbildmodus

Abb. 2: Die neue "Vorschau im Vollbildmodus" der Windows-Lupe bei Windows 10 zeigt beim Tastaturbefehl Strg + Alt + Leertaste kurz den vergrößerten Teil des Bildschirms im Kontext. Nach ca. 2 Sekunden kehrt die Ansicht automatisch in die Vergrößerung zurück.

Zwischen den drei Modi lässt sich mit den folgenden Tastenkombinationen umstellen:

BeschreibungTastenkombination
Vollbild Strg + Alt + F
Lupe Strg + Alt + L
Angedockt Strg + Alt + D
Vorschau im Vollbildmodus Strg + Alt + Leertaste
Lupe einschalten oder Vergrößerung erhöhen WIN-Taste & +
Vergrößerung verringern WIN-Taste & -

Persönlich bevorzuge ich den Vollbildmodus. Je nach Auflösung und Größe des Monitors verwende ich eine Vergrößerung von 400 % bis 600 %. Die Lupe ist sehr zuverlässig und läuft stabil. Die Darstellung der Schrift in dieser Vergrößerung ist leider sehr pixelig und es treten störende Schatten auf. Leider wurde die Lupe bisher noch nicht überarbeitet. Da sollte es von Microsoft noch Nachbesserungen geben.

Windows 10 Startmenü bei 400% Vergrößerung

Abb. 3: Das Startmenü von Windows 10 bei 400 % Vergrößerung. Das zugeordnete Bedienelement ist recht weit vom Menü-Eintrag entfernt. Es ist bei dieser Vergrößerungsstufe erst nach horizontalem Scrollen erreichbar.

Ich habe mir einen großen schwarzen Mauszeiger eingestellt. Damit ist für mich dessen Position schnell erkennbar. Ferner besteht auch die Möglichkeit, die Dicke der Einfügemarke zu verändern. Auch diese Einstellung ist praktisch. Ich habe darum über Einstellungen -> Erleichterte Bedienung -> Weitere Optionen die Stärke des Cursors erhöht. Dadurch konnte ich zwar eine leichte Verbesserung feststellen, aber optimal ist es nicht. Darüber hinaus lässt sich die Farbe des Cursors nicht ändern. Es gibt auch keine Möglichkeit, den Cursor anderweitig hervorzuheben, wie man es beispielsweise mit ZoomText kann.

8. Steuerung über Cortana

Cortana ist Microsofts Antwort auf Apples Sprach-Assistenten "Siri" und Googles "Google Now". Wenn der Rechner über ein eingerichtetes Mikrofon verfügt, reagiert Cortana auch auf die Stimme des Benutzers. Mit "Hey Cortana" leitet man Fragen an Cortana ein. In den meisten Fällen erhält man daraufhin auch brauchbare Ergebnisse. Es handelt sich um die erste Version dieses Assistenten - da wird es in naher Zukunft sicher noch Verbesserungen und Optimierungen seitens Microsoft geben. Verglichen mit Cortana sind Google Now und Siri von Apple doch etwas besser. Dennoch finde ich diesen persönlichen Assistenten gerade auch für sehbehinderte Nutzer hilfreich.

9. Funktionen und Applikationen von Windows 10

Der Umfang der integrierten Funktionen und Anwendungen hat sich im Vergleich zu Windows 7 verändert. Bei Windows 10 fällt das Media Center weg. Ich habe beispielhaft einige Apps ausprobiert, die alle mit der integrierten Lupe von Windows recht gut nutzbar waren. Grundsätzlich ist anzumerken, dass Windows 10 an vielen Stellen nach einem Microsoft-Konto fragt. Ohne ein solches Konto sind viele Funktionen nur sehr eingeschränkt nutzbar.